Es erscheint sonderbar, dass Sebastian Kneipp als der Reformator und Verbreiter der nach ihm benannten Wasserkur dem im Sommer damals wie heute so beliebten Schwimmen im „Freibad“ kritisch gegenüberstand. Er schimpfte gegen ein Freibad bei Wörishofen, konnte aber die Errichtung durch private Betreiber nicht verhindern. „Im Grabe umgedreht“ hätte er sich wohl, als in den 60er Jahren Hotels, Gästehäusern und Pensionen unter seinem Namen fast überall Schwimmbecken eingebaut wurden – dazu auch noch beheizte und im Hause ganzjährig nutzbar. Lagen die Vorbehalte des katholischen Pfarrers daran, dass er vermutlich selbst gar nicht schwimmen konnte? Oder fürchtete er um die Moral der mit Schwimmkleidung zu leicht bekleideten Jugend? Erinnerte er sich an den Skandal wegen wassertretender Damen, die dabei den Rock unzüchtig bis über das Knie gehoben hatten, oder hatte er Angst vor einer Ausbreitung der Nacktbäder, die bei anderen Naturheilern und bei den Prießnitz-Vereinen durchaus üblich waren.
Es bestehen aber ganz grundlegende Unterschiede zwischen den von Kneipp als gesundheitsfördernd erkannten Kaltwasserreizen und dem Schwimmen. Bei dem nur einige Sekunden andauernden Kaltreiz durch einen Guss oder kurzes Eintauchen (Bad) aber auch bei einem feuchten Wickel wird zwar eine komplexe Regulation des Körpers einschließlich einer Stressreaktion ausgelöst, aber es kommt gar nicht zu einer richtigen Abkühlung! Im Gegenteil kommt es kurz danach sogar zu einer Erwärmung der betroffenen Körperteile durch eine Umlenkung der Blutströme. Trotzdem bleibt nach einer Kneippschen Kaltwasseranwendung ein angenehmes Gefühl gerade auch an einem schwülen Sommertag. Verlängert man nun die Kneippanwendung z. B. durch eine zusätzliche Runde beim Wassertreten, so wird dabei nicht besonders viel mehr Wärme abgegeben – schließlich sind die Hautgefäße bereits verengt und die oberflächlichen Gewebeschichten abgekühlt. Bedeutend mehr Wärme kann abgegeben werden, wenn man sich länger in nicht zu kaltem Wasser aufhält. Beim Schwimmen bildet der Körper Wärme und gibt diese gerne an das Wasser ab. Insofern eignen sich Warm-Bäder und Thermen mit Wasser-Temperaturen über 30 Grad weniger für körperliche Aktivität, da es hierbei zum Wärmestau kommt, wenn der Körper die Wärme nicht abgeben kann. Bei kühlem oder kaltem Wasser tritt aber auf Dauer trotz Sparprogramm in der Haut-durchblutung ein Wärmeverlust ein, der dann auch nicht mehr mit Bewegung und Schwimmen aufgehalten werden kann. Wer frierend aus dem Wasser kommt, hat keinen gesundheitlichen Nutzen und sollte sich durch Bewegung rasch wieder erwärmen, um einer Erkältung vorzubeugen. Als in meiner Jugend die sparsamen schwäbischen Stadträte unseres Freibades ein Anheizen über 20 Grad ablehnten, weil es sonst nicht mehr ausreichend „erfrische“, wurde beim Beobachten der entsprechenden Honoratioren im Freibad sehr deutlich, dass diese ausnahmslos nicht nur über einen eingebauten Naturneopren-Anzug verfügten, sondern auch noch mehrere „Rettungsringe“ um den Leib „eingebaut“ hatten. Die tratschten ewig im kalten Wasser stehend und bezeichneten schlaksige Jungen als wasserscheu, die nach drei Schwimmstößen das Wasser schnatternd verlassen mussten. Die Honoratioren ahnten nicht im geringsten, dass sie selbst dem Tode näher waren, als die übermütigen Kinder, die allen Verboten zum Trotz unabgekühlt ins kalte Wasser sprangen. Seit Jahrhunderten wird gewarnt, dass plötzliche Abkühlung zu Herzversagen und Schlaganfall führen könne. Dahinter stehen lediglich zwei Todesfälle – allerdings von sehr prominenten Figuren der Weltgeschichte: Alexander der Große und Kaiser Barbarossa. Trotz völlig unklarer Umstände dieser beiden Todesfälle führte das Ableben des letzteren dazu, dass man den Kontakt mit dem Wasser über etliche Jahrhunderte vor allem in Frankreich ganz einstellte. Ärzte forderten vor jedem Bad eine Untersuchung und sehr häufig einen Aderlass zur Sen-kung des Risikos eines plötzlichen Todes im Bade (dummerweise verbreiteten sie aber genau dabei mit ihren unsterilen Instrumenten Infektionserkrankungen wie die Syphilis). Die Ängste vor der plötzlichen Abkühlung kann man durch die guten Erfahrungen bei der plötzlichen Abkühlung der Sauna widerlegen. Hingegen hat der längere Aufenthalt im Bade durch den Wasserdruck eine zunehmende Umverteilung des Blutes zur Folge, die zusammen mit der in Kälte verringerten Hautdurchblutung zu erheblichen Blutdruckanstiegen führt. Damit kann theoretisch schon mal ein Herzschlag (Herzinfarkt) oder ein Schlagfluss (Apoplex) ausgelöst werden, entsprechende Fälle sind aber glücklicherweise sehr selten.